Stellungnahme des mut Forums Landwirtschaft und Ernährung zum Koalitionsvertrag der Ampelparteien

Stellungnahme des mut Forums Landwirtschaft und Ernährung zum Koalitionsvertrag der Ampelparteien

Auf 178 Seiten haben die Ampel-Parteien formuliert, wie sie sich ihre Regierungsarbeit vorstellen und welche Ziele sie erreichen wollen. Wie in einem Koalitionsvertrag üblich, werden Formulierungen wie „ … wir wollen ….“ oder „… wir setzen uns dafür ein ….“ und Redewendungenverwendet. Das ist durchaus verständlich, denn eine Koalition bedeutet ein gemeinsames Ringen um Lösungen, die von allen Partnern getragen werden können. Dies sind dann Kompromisse, die während der Regierungszeit erarbeitet werden. Glasklare Aussagen werden somit nur selten in einem Koalitionsvertrag stehen.

Das mut Forum Landwirtschaft und Ernährung hat sich den Koalitionsvertrag der Ampelparteien in diesem Themenbereich genauer angesehen und kritisch beleuchtet. Hier unsere Anmerkungen und Kritikpunkte:

Lebensmittelhandel

Für den Bereich der Landwirtschaft und Ernährung spielt der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel eine wichtige Rolle, da durch die Machtkonzentration auf die vier großen Händler Aldi, Lidl, Rewe und Edeka eine marktbeherrschende Stellung erwachsen ist. Da vor allem Aldi und Lidl auch in vielen anderen europäischen Ländern vertreten sind, geht deren Einfluss auf unsere Lebensmittelproduktion und –versorgung weit über Deutschland hinaus.

Zum Thema „Einzelhandel“ heißt es auf Seite 29des Koalitionsvertrags im ersten und zweiten Absatz:

Der stationäre Handel in Deutschland braucht attraktive Rahmenbedingungen, um im Strukturwandel gegenüber dem reinen Online-Handel bestehen und von der Digitalisierung profitieren zu können. Wir bemühen uns weiter um fairen Wettbewerb zwischen Geschäftsmodellen digitaler Großunternehmen und den lokal verwurzelten Unternehmen. Wir wollen die digital gestützte Wertschöpfung in Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistung unterstützen und dafür ein Level Playing Field (gemeint sind damit einheitliche Wettbewerbsbedingungen) herstellen.

Wir nutzen das Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ und führen die Innenstadtstrategie des Bundes fort, insbesondere das Programm „Lebendige Zentren“ im Rahmen der Bund-Länder-Städtebauförderung. Sie sollen für eine Verbesserung der Aufenthalts- und Erlebnisqualität in den Innenstädten genutzt werden.

Hier geht es „nur“ um den Unterschied zwischen digitalen Großunternehmen und sogenannten „lokal verwurzelten Unternehmen“. Dass der Konzentrationsgrad im lokalen Lebensmittel-Einzelhandel ein kaum vorstellbares Niveau erreicht hat, wird nicht erwähnt. Aldi, Lidl, Rewe und Edeka besitzen einen Marktanteil von ca. 80% in Deutschland und haben maßgeblich zu einer Verödung der Innenstädte beigetragen. Diese mächtigen Akteure festigen ihre Marktmacht alleine mit möglichst niedrigen Lebensmittelpreisen. Dies hat zu einem skandalösen Zustand geführt:

  • Massentierhaltung mit all ihren negativen Auswirkungen auf uns Menschen und unseren Planeten
  • lange Lebendtiertransporte in Drittstaaten, um Kosten von teuren Kühltransporten zu umgehen und in der EU zurecht verbotene Schlachtungsmethoden zu ermöglichen
  • Billigimporte von Lebensmitteln über irrwitzige Entfernungen
  • Exporte von in Deutschland nicht verkaufsfähigen Produkten in Länder des globalen Südens mit zerstörerischen Folgen für die dortige, meist kleinbäuerliche Lebensmittel-Erzeugung
  • Einsatz von synthetischen Pflanzenschutzmitteln in Ländern des globalen Südens, die in Deutschland bereits seit Jahren verboten sind
  • die weitere Globalisierung der Lebensmittel-Produktion und damit die Stärkung multinationaler Lebensmittel-Konzerne mit schrecklichen Folgen für das Weltklima, die Artenvielfalt und die Durchsetzung von Menschenrechten besonders in den Ländern des globalen Südens
  • Lebensmittel-Verschwendung

(Siehe dazu bitte auch unsere Petition https://change.org/rettet-unseren-boden, die sich direkt an die großen Akteure des Lebensmitteleinzelhandels richtet).

Es wird auch übersehen, dass besonders die beiden Discounter Aldi und Lidl seit Jahrzehnten durch ihr NonFood Sortiment gar keine reinen Lebensmittel-Einzelhändler mehr sind. Die permanent stattfindenden Aktionen mit Textilien, Werkzeugen, Gartenmöbeln und all den anderen Gütern des täglichen Bedarfs haben schon lange zum Sterben des kleinen, familiengeführten Einzelhandels gleich welcher Branche geführt. Der Onlinehandel hat diese Entwicklung verstärkt, aber nicht ausgelöst.

Wenn wir also Innenstädte wieder beleben wollen, bedarf es keiner pauschalen Förderung des stationären Handels wie im Koalitionsvertrag formuliert, sondern vielmehr einer gezielten Unterstützung von kleinen, inhaber*in geführten Einzelhandelsgeschäften, um deren Betrieb und deren Neugründungen möglich zu machen. Nachhaltigkeit und Qualität von Lebensmitteln, Reparatur statt Wegwerfen und Neukaufen von Gebrauchsgütern müssen dazu die ideellen Leitplanken sein.

Wir dürfen gespannt sein, ob und welche Maßnahmen die Ampelkoalition ergreift, um die oben genannten Missstände im Handel anzupacken. Ein pauschales Füllhorn mit Subventionen für den stationären Handel ist jedenfalls der falsche Weg. Vielmehr braucht es einschneidende Reformen und notfalls auch Begrenzungen von Marktmacht.

Klima und Tierwohl

Seite 43/44 3.Absatz ff : Tierschutz : … Bau- und Genehmigungsrecht ist entsprechend anzupassen. Die Entwicklung der Tierbestände soll sich an der Fläche orientieren…

Hier fehlt eine klare Aussage wie die Tierbestände in Deutschland reduziert werden können. 75% der Treibhausgase der gesamten Landwirtschaft gehen auf die Tierhaltung zurück. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, muss deshalb die Zahl der Nutztiere massiv sinken. Sonst wird das nichts mit dem 1,5-Grad-Ziel!

Beim Thema Tierschutz ist Fehlanzeige: Im Koalitionsvertrag findet sich lediglich ein ungeeignetes „Tierwohl“-Label auf freiwilliger Basis. Das bedeutet: Tierschutz soll den Kaufentscheidungen der Verbraucher*innen überlassen werden. Darüber hinaus will die neue Regierung zulassen, dass Verstümmelungen und Amputationen, Sauenkäfige oder Betonspaltenböden nach wie vor erlaubt sind und erst in 10 Jahren beendet werden!

Ernährung

Seite 45, 5.Absatz 5: ….. und setzen uns für die Zulassung von Innovationen wie alternative Proteinquellen und Fleischersatzprodukten in der EU ein.

Mit alternativen Proteinquellen und Fleischersatzprodukten ist dann auch Fleisch aus dem Reagenzglas gemeint und wird eine neue Sparte industrieller Lebensmittelproduktion beflügeln. Wenn das mit Innovation gemeint ist …….

Seite 45: … Wir werden, insbesondere mit Blick auf Kinder, mit den Akteuren bis 2023 eine Ernährungsstrategie beschließen, um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen.

Was im Koalitionsvertrag angekündigt wird, reicht nicht, um Kinder wirklich vor Werbung für Zuckerbomben und fettigen Snacks zu schützen. Deshalb müssen wir jetzt sicherstellen, dass aus der Absichtserklärung eine wirksame Regulierung wird und keine Schlupflöcher für ungesundes Kindermarketing bleiben.

Wer Lebensmittel für und bei Kindern bewerben will, muss sich bei Grenzwerten für Zucker- Fett und Salzgehalt an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation halten. Dies hat auch für Social Media, Online-Gewinnspiele und Verpackungen zu gelten.

An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben. Die Ampel tut so, als ob ab dem Alter von 14 Jahren Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt nicht wirken würde. Wie wäre es denn, wenn derartige Lebensmittel gar nicht mehr beworben werden dürften unabhängig wie alt die Zielgruppe ist? Laut statistischem Bundesamt hat mehr als die Hälfte der deutschen Erwachsenen Übergewicht. Es gibt aus unserer Sicht durchaus Gründe das Werbeverbot nicht auf die Zielgruppe „Kinder unter 14“ zu begrenzen.

Pestizide

Seite 46: Wir wollen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß beschränken.

Wer bestimmt das notwendige Maß? Wir können nur hoffen, dass der neue Minister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, eine andere Strategie als seine Vorgängerin an den Tag legt. Gerade ist erstmals der „Pestizid-Atlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen. Pestizide stellen eine weltweite, massive Bedrohung für die menschliche Gesundheit, die Artenvielfalt, unsere Böden und unser Wasser dar. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage im Koalitionsvertrag absolut unzureichend.

Die Aussage „wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt“ hilft auch wenig weiter. Das ist zwar grundsätzlich ok, aber die Zulassung endet ohnehin 2023! Und was geschieht, wenn ein neues Mittel unter anderem Namen auf den Markt kommt? Wir brauchen eine grundlegende Wende in der Landwirtschaft und der Verzicht auf synthetische Pestizide ist ein wichtiger Baustein für diese Wende – in Deutschland und weltweit. Wir fordern deshalb nicht nur ein Verbot des Einsatzes synthetischer Pestizide in Deutschland, sondern auch ein Verkaufsverbot von Produkten, die andernorts unter Einsatz synthetischer Pestizide hergestellt wurden. Dies muss mit einer möglichst kurzen Übergangsfrist umgesetzt werden. Auch in unserer aktuellen, an den mächtigen LEH gerichteten Petition https://change.org/rettet-unseren-boden fordern wir die Entwicklung eines Pestizid Ausstiegsszenarios. Die Fakten im Pestizid-Atlas der Heinrich-Böll-Stiftung untermauern diese Forderung nachhaltig. Diesen Atlas können Sie kostenlos downloaden unter: https://www.boell.de/de/die-atlanten-der-heinrich-boell-stiftung.

Wir setzen auch auf digitale Anwendungen und moderne Applikationstechnik zur zielgenauen Ausbringung und Vermeidung von Abdrift. Wir stärken Alternativen zu chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln (Biologicals, lowrisks, Pflanzen -stärkungsmittel, physikalisch, biologisch, Anbaumethoden, Robotik, Drohnen, Digitalisierung, Prognosemodelle etc.) und verbessern die zugehörigen Verfahren.“

Die Landmaschinen-Hersteller stehen bereits in den Startlöchern für die komplette Digitalisierung der Landwirtschaft. Das bedeutet, dass Deutschland flächendeckend digitalisiert sein muss, um die Bearbeitung aller landwirtschaftlichen Flächen vom PC aus zu managen. Ist das wirklich die Zukunft für eine praktikable und nachhaltige Landwirtschaft?

Faire Preise für Lebensmittel

Seite 48:„Wir unterstützen fairen Wettbewerb mit fairen Preisen im Lebensmittelmarkt.
Den Milchmarkt werden wir weiter beobachten und die Bilanz der Lieferbeziehungen evaluieren“

Wir dürfen gespannt sein, wie die Ampel im Lebensmittel- Einzelhandel einen fairen Wettbewerb mit fairen Preisen unterstützen will, wenn, wie bereits erwähnt, vier Einzelhändler 80% des Marktes beherrschen. Diese enorm hohe Marktkonzentration ist ja das Problem. Die Aussage zum Milchmarkt ist ein Allgemeinplatz in einer typischen Politikformulierung mit keinerlei Relevanz. Wie lange will unsere Regierung noch den Milchmarkt beobachten? Die Milcherzeugung ist eines der zentralen Themen der Landwirtschaft in Deutschland. Auch hier spielt der Lebensmitteleinzelhandel eine zentrale Rolle. Hier fehlt es an einem klaren Plan mit welchen Marktteilnehmern über welche Themen gesprochen wird und welches Ziel die Regierung erreichen will.

Bodenpolitik

Bodenspekulation und der Verkauf von landwirtschaftlicher Fläche an „Nicht-Landwirte*innen kommt nicht im Koalitionsvertrag vor. Dabei ist es seit Jahren, gerade für Bio-Landwirte*innen, eine Herausforderung geeignetes Land zu erwerben oder anzumieten. Auch das Thema Bodenerosion und Humusaufbau sucht man vergebens, obwohl ein gesunder Boden zu den am Anfang des Koalitionsvertrags genannten Lebensgrundlagen gehört.

Unser Fazit

Es bleibt viel zu tun! Sehen wir es positiv: Der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir positioniert sich bislang klar und hörbar, mit viel Gestaltungswillen. Seine demonstrative Fahrt auf dem Fahrrad zur Vereidigung mag für viele zu plakativ gewesen sein. Aber es war ein Zeichen, wie man Dinge anders angehen kann. Er wird eine gute Portion Durchhaltevermögen brauchen, um die Richtung halten zu können. Außerdem ist es essenziell wichtig, auch gleichzeitig die soziale Frage zu beantworten, wenn man höhere Preise für Lebensmittel fordert. Im Sinne einer zukunftsorientierten Ernährung und Landwirtschaft wünschen wir ihm viel Erfolg.

Bild und Text von unserem Forensprecher Heiner Putzier

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