In ganz Deutschland fehlen Lehrkräfte: Laut KMK-Präsidentin noch bis mindestens 2033. Jedes Bundesland versucht, den Bedarf durch Not- und PR-Maßnahmen zu decken. Der Seiteneinstieg ist stellenweise bereits zur Regel geworden. Dabei war diese Entwicklung absehbar und hätte verhindert werden können.
Kaum etwas ist einfacher zu berechnen, als der Bedarf von Lehrkräften. Dennoch schafft es gegenwärtig kein einziges Bundesland, den eigenen Lehrkräftebedarf vollständig zu decken. Auch wenn es dafür verschiedene Gründe gibt, liegt die Hauptursache ganz klar im Versagen der politisch Verantwortlichen. Jahrzehntelang wurde das Bildungssystem bundesweit unterfinanziert und nun wundert man sich, wie es zu einer solchen Situation kommen konnte.
Die Attraktivität des Lehrkräfteberufs ist in Deutschland allgemein gering
Auch wenn Lehrkräfte im Vergleich zu anderen Beamt*innen oder Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sowie im internationalen Vergleich mit Lehrkräften anderer Länder relativ gut verdienen, ist das Gehalt in Anbetracht einer langjährigen akademischen Ausbildung nicht besonders hoch. Gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern ist für viele Lehramtsabsolvent*innen die freie Wirtschaft häufig eine sehr attraktive Berufsalternative. Dort erhalten diese nicht nur mehr symbolische Anerkennung für ihre Arbeit, sondern auch erheblich mehr Geld, bei gleichzeitig wesentlich besseren Arbeitsbedingungen. Der Beruf der Lehrkraft steht in Konkurrenz mit allen anderen Berufen und muss deshalb attraktiver werden.
Für einen Automobilkonzern, in der Beratung oder in der IT zu arbeiten, stößt heute im sozialen Umfeld auf Bewunderung, als Lehrkraft erntet man eher Mitleid oder gar Spott. Alte Klischees sind nach wie vor tief in der Gesellschaft verankert, allen voran: Vormittags recht haben und nachmittags frei sowie jede Menge Urlaub. Die Realität sieht anders aus: Im Durchschnitt machen Lehrkräfte aller Schulformen laut wissenschaftlicher Untersuchungen übers Jahr gerechnet unbezahlte Überstunden, die Schulferien mit eingerechnet. Außerhalb der Ferien arbeiten Lehrkräfte in der Regel in einer 7-Tage-Woche. Die Burnout-Quote ist erschreckend hoch. Kein Wunder, dass so viele Lehrkräfte in Teilzeit arbeiten möchten, denn nur so ist der Beruf auf gesunde Art und Weise professionell zu bewältigen. Hinzu kommen zahlreiche weitere Probleme, wie die massiven Defizite im Bereich von Schulbau und -sanierung oder bei der digitalen Ausstattung.
Der Beruf der Lehrkraft erfordert nicht nur immens viel fachliche Arbeit in Form von Unterrichts- sowie Prüfungsvor- und -nachbereitung, Schriftwesen u.v.m., sondern ist vor allem menschlich eine große Herausforderung. Lehrkräfte sind für die Kinder und Jugendlichen wichtige Bezugspersonen und sie sind mit zunehmenden Aufgaben und sozialen Herausforderungen konfrontiert, die es in dieser Form und in diesem Ausmaß früher nicht gab. Diese Form der Arbeit kostet viel Kraft und die Erfahrung, den Schülerinnen und Schülern in Anbetracht der Rahmenbedingungen nicht das geben zu können, was diese eigentlich bräuchten, ist auf Dauer enorm belastend. Viele Lehrkräfte resignieren.
Wer den Beruf der Lehrkraft attraktiver machen möchte, muss die Rahmenbedingungen verbessern. Wenn junge Menschen entweder auf keinen Fall Lehramt studieren wollen oder ihre Entscheidung für das Lehramt im Laufe ihrer Ausbildung überdenken, weil die Vorstellung als Lehrkraft in diesem Bildungssystem zu arbeiten für sie so schrecklich ist, dann stimmt etwas nicht mit diesem System.
Es wurden nicht genug Lehrkräfte eingestellt und ausgebildet
Trotz entsprechender KMK-Beschlüsse bildeten die Bundesländer seit Jahren nicht genügend Lehrkräfte aus, um den Eigenbedarf zu decken. Bayern gelang dies bis vor kurzem noch am besten. Inzwischen reichen die Absolvent:innen im Grund- und Mittelschullehramt aber auch in Bayern nicht mehr aus. Bei der Grundschule lag dies primär an vermeidbaren Fehlplanungen, denn viele wollten Grundschullehramt studieren, konnten es aber aufgrund des Numerus Clausus nicht. Bei der Mittelschule liegen die Gründe woanders, denn dieses Lehramt gilt als besonders unattraktiv: Eine höhere Unterrichtsverpflichtung, schlechtere Ausstattung vor Ort, besonders herausfordernde Schüler:innen, zahlreiche Unterrichtsfächer und das Ganze bei einem niedrigeren Gehalt. Dass viele in Anbetracht dessen lieber Gymnasiallehramt studieren, ist nicht gerade verwunderlich.
Alle Bundesländer hätten bereits vor vielen Jahren damit beginnen müssen, mehr als den Mindestbedarf an Lehrkräften auszubilden und auch einzustellen. Der sogenannte Schweinezyklus, also der wiederkehrende Wechsel von Lehrkräfteüberangebot und -mangel, hätte mit einer soliden Personalpolitik längst durchbrochen werden können. Insbesondere bei den weniger beliebten Lehrämtern sind Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität in Form von besseren Arbeitsbedingungen und einer Gleichstellung in der Besoldung längst überfällig. Passiert ist hier bislang gar nichts. Stattdessen wird versucht, irgendwie die Lücken zu stopfen und Personal zu akquirieren. Stellenweise genügt dann sogar ein kleiner Lehramts-Crashkurs, der dann 5 Jahre Studium plus Referendariat ersetzen soll. Probleme werden dadurch aber nicht gelöst, sondern eher noch verschärft.
Ohne strukturelle Verbesserungen wird sich langfristig nichts an der Situation ändern
Selbstverständlich sind für all diese Maßnahmen massive Investitionen notwendig, aber das Geld wäre da. Auch wenn die politisch Verantwortlichen nicht müde werden, immer wieder zu betonen, dass die Bildungsausgaben (in der Summe) jährlich steigen: Gemessen am BIP gibt Deutschland im internationalen Vergleich weniger Geld aus als der OECD-Durchschnitt. Diese Tatsache ist für ein so wohlhabendes Land wie Deutschland peinlich und lässt sich nicht schönreden.
Möchte man das Problem des Lehrkräftemangels, wie auch die Probleme in anderen pädagogischen Mangelberufen wie zum Beispiel bei Erzieher*innen und Altenpfleger*innen, langfristig lösen, so braucht es ein grundsätzliches Umdenken hinsichtlich des gesellschaftlichen Werts dieser Berufe sowie im Hinblick auf die Arbeitsanforderungen und -bedingungen. Eine zeitgemäße Ausbildung, signifikante Arbeitsentlastungen, eine konkurrenzfähige Bezahlung, die auch ein sorgenfreies Leben und Wohnen in Städten ermöglichen muss, sowie das langfristige Ziel einer personellen Überversorgung von ca. 10 % wären notwendige Maßnahmen, diese Berufe attraktiver zu machen und auf absehbare Zeit ausreichend Fachkräfte hierfür zu generieren.