Namen und Schicksale der Ermordeten sollen nie aus unserem Bewusstsein weichen!

Ein Beitrag zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar von Themensprechende Person gegen Rechtsextremismus und Rassismus Nikita Bennett

Heute vor 78 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von den Alliierten befreit. Seit 2005 wird an diesem Tag von den Vereinten Nationen der Opfer des Holocausts bedacht. Doch was bedeutet das eigentlich in unserem Leben? Was assoziieren wir damit? Eine Zahl? Einen Namen? Welche Zahl, welchen Namen? Und vor allem, WIE? Ich will hier versuchen diesen Fragen nachzugehen, doch wo kann ein Mensch bei dieser Sache denn anfangen? Der Geschichte der Menschheit fehlt es leider nicht an grauenvollen Verbrechen. Viele davon sind uns kaum bekannt, auch solche die weit weniger zurückliegen und teils „an unserer (europäischen) Haustür“ geschahen. Es kann nicht darum gehen eine Hierarchie des Horrors und der Grausamkeit zu erstellen. Wie ein Verbrechen an der Menschlichkeit von Historiker*innen bewertet wird, welche Zahlen offiziell gelten ist seinen Opfern und ihren Hinterbliebenen nicht egal, aber im Vordergrund steht ihr unermessliches Leid.

Eines gilt aber im Falle des Holocausts als einzigartig: nie wurden in diesem Maße der Massenmord und die Folter an Millionen von Menschen auf solch systematische, kalte und bürokratische Weise verübt. Die Menge der Gaskapseln wurde genau bemessen, jeder Goldzahn, jedes Stück Stoff akribisch aufgenommen und weiterverarbeitet, um noch mehr Morde zu begehen. Die Vernichtung der europäischen Jüd*innen durch die Nazis und ihre willfährigen Helfer*innen (besonders der Wehrmacht) ist in seiner Umsetzung einzigartig.

Wie können wir dem Gedenken? Können wir überhaupt begreifen, wovon wir hier reden? Ich glaube es nicht. Die meist angeführte Zahl der Todesopfer ist sechs Millionen. Die Vernichtung der Akten durch die Täter in ihrer Furcht vor der Gerechtigkeit sollten ihre Verbrechen ans Licht kommen macht eine genauere Bezifferung unmöglich, ganz zu schweigen von den Opfern die zwar überlebten, aber für die es doch kein Zurück zu einem Leben vor dem Holocaust gab. Viele davon, wie der Autor des Zeugnisses „Ist das ein Mensch“ Primo Levi, ein Name unter tausenden, begingen später Selbstmord.

Und dieser Schätzung sind noch weitere Opfer hinzuzufügen, denn der Begriff Holocaust wird mittlerweile auch im weiteren Sinne benutzt. Im Sinne von insgesamt 11 bis 12 Millionen Jüd*innen, Sinti*zze und Rom*naja, Jehovahs Zeugen, Jenische, Menschen deren Behinderungen sie im Auge der Nazis zu „unwertem Leben“ machte, Menschen, die heute zur LGBTQ+-Community gezählt werden, „Asozialen“, politische Gefangene, Widerstandskämpfer*innen und auch die Kategorie der „Verbrecher*innen“, die nicht vergessen werden darf. Denn kein Verbrechen auf der Welt rechtfertigt Tod und Folter, schon gar nicht in der Form, die sie in den Konzentrationslagern annahmen.

Und wieder: wie können wir dem Gedenken? Ich habe keine große, allumfassende und befriedigende Antwort auf diese Frage. Aber Ansätze. Ich nannte den Namen Primo Levis, einer unter Millionen. Damit diese Millionen ein Gesicht bekommen. In meiner Heimatstadt Bayreuth haben sich verschiedene Vereine und Gruppen im letzten Jahr entschieden, einigen dieser Millionen auch eine Stimme zu geben. Ich will deswegen darüber berichten, weil dadurch das Grauen wenigstens etwas greifbarer für die Menschen hier wurde.

Wir hatten schon lange ein Mahnmal, möglichst nahe an der Stelle errichtet, an der ein Übergangslager stand von dem aus die Menschen in die „eigentlichen“ KZs und Vernichtungsstätten deportiert wurden. Eine an sich sinnvolle Stelle, an der jährlich eine Gedenkveranstaltung organisiert wird.

Leider liegt diese Stelle aber auch auf einem kleinen grünen Eck zwischen dem Hagebaumarkt und der Regionalstraße, und wer nicht weiß worum es sich handelt, kann es leicht einfach für einen Stein halten, der da zufällig liegt. So war das natürlich nicht gedacht, doch das war der Effekt. Getroffen haben sich dort meist nur einige Dutzend Menschen, und viel mehr Platz gibt es da auch tatsächlich nicht. Viele Menschen, mit denen ich mich über die Jahre unterhalten habe, wussten einfach gar nicht, dass es dieses Mahnmal gibt. Dabei fehlt es in Bayreuth nicht an Gedenkstätten, besonders für gefallene Soldaten. Am Schützenplatz steht sogar eine ganze Reihe. Und an sich ist das auch nicht verwerflich. Doch der Effekt ist einfach bezeichnend. Ein kleiner Stein abseits den kaum jemand kennt, gegen ein halbes Dutzend oder mehr gut gelegener Denkmäler, mit Namen sämtlicher Gefallenen, inklusive SS-Offizieren. Ähnlich steht es um das Mahnmal von Porajmos. Ja, es liegt am Bahnhof, aber eben DAHINTER. Es ist klein und sehr leicht zu übersehen. Am Eingang des Bahnhofs aber wird groß und sichtbar des Schicksals der Heimatvertriebenen gedacht. An sich wieder nichts Verkehrtes, wenn wir es im Einzelnen sehen. Das Gesamtbild aber lässt stutzig werden. Die Verhältnisse der Erinnerungskultur, wem wir und wo gedacht wird, passt einfach nicht. Es gibt im Bezirkskrankenhaus auch eine Gedenkplatte der Opfer des Euthanasie-Programms. Diese muss ein Mensch aber wirklich suchen.

Nochmals, es geht nicht darum böse Absichten zu unterstellen. Es geht um das Ergebnis. Und das passt eben gar nicht.

Zumindest bis vor Kurzem. Vor fast genau einem Jahr wurde am Tag des Gedenkens der Opfer des Holocausts in Bayreuth ein „akustisches“ Denkmal eingeweiht (https://www.br.de/nachrichten/bayern/einzigartiges-akustisches-mahnmal-fuer-opfer-der-shoah,TSopFkN). Eigentlich kaum auffällig. Wäre da nicht die Stimme, die aus dem Boden davor aufsteigt und die Namen von 180 Bayreuther Jüd*innen vorliest die von den Nazis und ihren Verbündeten ermordet wurden. Das Ziel ist es, den Opfern eine Stimme zu geben. Sie greifbar zu machen, ihnen eine Identität jenseits eines Namens auf einem Stein zu geben, denn auch ihr Geburtsdatum, das ihrer Deportierung und ihrer Ermordung werden genannt. Und der Name des Lagers, indem dies geschah.

An sich schon ein sehr guter Schritt, doch auch der Standort ist gut gewählt: Direkt am Sternplatz. Historisch nicht minder passend als der des anderen Mahnmals, hier stand das Waren- und Wohnhaus von Simon Pfefferkorn, einem Bayreuther jüdischen Glaubens, der bereits 1933 enteignet wurde. Das Gebäude wurde dann von den Nazis missbraucht, um ihre Bayreuther Gauleitung einzurichten. Der Platz ist sowohl der eines Opfers wie von Tätern.

Aber persönlich finde ich viel wichtiger: Es gibt keinen Weg daran vorbei. So ziemlich jeder Mensch, der in Bayreuth lebt, kommt mindestens einmal die Woche dort vorbei und hört die Namen und die tragische Zusammenfassung der Leben dieser Opfer. 180 Namen, 180 Menschen unter 12 Millionen, die eben greifbar werden, an einer Stelle, an der kein Weg vorbeiführt.

Ich kann hier nur für Bayreuth sprechen und letzten Endes auch nur über meine eigenen Empfindungen. Aber ich finde diese Art des Gedenkens bemerkenswert. Und davon braucht es mehr. Nicht unbedingt in dieser Form, nicht unbedingt gut sichtbar, aber eben auch IN UNSEREM ALLTAG UNUMGEHBAR. Damit das Gedenken der Verbrechen der Nazis und ihrer Millionen Opfer nicht nur die Sache einiger Menschen an einem bestimmten Tag ist, sondern zum Alltag aller gehört. Vielleicht gibt es in euren Städten und Dörfern ähnliche Initiativen (und vielleicht gibt es auch schon solche Mahnmale). Wenn ja, unterstützt bitte diese Initiativen! Zeigt, dass es euch wichtig ist. Und wenn es sie noch nicht gibt, dann bitte, überlegt wie ihr helfen könnt, eben solche ins Leben zu rufen!

Damit die Namen und Schicksale der Ermordeten nie aus unserem Bewusstsein weichen können.

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