Zulassung neuer Gentechnikverfahren (NGT) in der EU bergen große Risiken.

Das mut Forum Landwirtschaft und Ernährung spricht sich gegen die „Deregulierung des Gentechnikrechts“ aus!

Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit hat die EU-Kommission seit Juli 2023[1]) ein Gesetzgebungsverfahren zur Deregulierung des Gentechnikrechts auf den Weg gebracht. Pflanzen bzw. Saatgut, die mittels neuer Gentechnikverfahren (NGT) verändert werden, sollen vom strengen Gentechnikrecht ausgenommen werden. Das gilt für solche Pflanzen der Kategorie 1, die als gleichwertig mit Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung angesehen werden. Für diese sollen strenge Risikoprüfungen bei der Zulassung sowie Nachweispflicht und ein begleitendes Umweltmonitoring entfallen.

Was ist das Ziel einer solchen Deregulierung und wie wird sie begründet?

Die von der Wissenschaft entwickelten neuen Verfahren (v.a. CRISPR/Cas) sollen präziser als bisher bestimmte Gene von Pflanzen bzw. Saatgut mit unerwünschten Eigenschaften verändern oder ausschalten. Mit der sog. Genschere soll dies wesentlich sicherer und präziser als bei der konventionellen Gentechnik geschehen, bei der meist artfremde Gene in das Erbgut der Pflanze eingebracht werden. Risiken durch Fehler bei der Genveränderung sollen nach den Befürworter*innen dieser Technik minimiert werden. Mittels NGT soll der Einsatz von Pestiziden verringert und Pflanzen widerstandsfähiger gegen den Klimawandel gemacht werden. Die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) sieht derzeit keine negativen Auswirkungen von NGT-Pflanzen im Vergleich zu Pflanzen, bei denen fremdes Erbgut eingebracht wird.[2]

Demgegenüber halten unabhängige Wissenschaftler*innen[3]) bisherige Studien und Forschungsergebnisse nicht für ausreichend, um auf eingehende Risikoüberprüfungen verzichten zu können. Risiken bestehen danach in

  • der Ausbreitung genveränderter Pflanzen in der Natur ohne Rückholbarkeit,
  • der Bedrohung der Artenvielfalt,
  • höherem Pestizideinsatz und
  • mangelnder Wahlfreiheit für Landwirte und Verbraucher*innen.

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Auf Empfehlung des federführenden Umweltausschusses ist das EU-Parlament am 7. Februar 2024 dem Vorschlag der EU-Kommission im Grundsatz gefolgt, hat allerdings auch einige zusätzliche Vorgaben beschlossen. Wesentlich ist die Einteilung in Kategorie 1-Pflanzen, die als gleichwertig zu konventionell gezüchteten Pflanzen anzusehen sind und Kategorie 2-Pflanzen, bei denen stärkere Eingriffe in das Erbgut erfolgen. Bei ersteren wird zwar eine Kennzeichnung gefordert, ansonsten soll aber auf strenge Risikoprüfungen und Nachverfolgbarkeit verzichtet werden. Bei den Kategorie 2 kommt hingegen das geltende, strenge Gentechnikrecht weiterhin zur Anwendung.

Im biologischen Landbau sollen NGT-Pflanzen generell verboten bleiben. Die Abgeordneten sprachen sich weiterhin dafür aus, dass keine Patente auf NGT-Pflanzen zugelassen werden dürfen, damit durch Patente nicht der Zugang zu gentechnikfreiem Saatgut verhindert wird.

Der sog. Trilog, also die Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat, ist angelaufen. Angestrebt wird eine Einigung noch vor der Europawahl im Juni.

Mögliche Folgen für Landwirte und Verbraucher*innen – Versuch einer Bewertung

Es ist derzeit offen, wie sich eine Deregulierung vom Kategorie 1-Pflanzen auswirken wird. Bereits bei der Anwendung der Methode des Genom-Editing (z.B. CRISPR/Cas) können sich ungewollte Veränderungen ergeben. Die mehrfache oder kombinierte Anwendung der Genschere auf verschiedene Genpaare einer Pflanze kann in ihren Auswirkungen mangels ausreichender Forschung nicht eingeschätzt werden. Durch die Freisetzung von NGT-Pflanzen kann die Artenvielfalt bedroht sein, wenn sich solche Pflanzen untereinander oder mit anderen Wildpflanzen kreuzen. Es lohnt sich durchaus, einen Blick auf Süd- und Nordamerika zu werfen, wo grüne Gentechnik seit etwa 30 Jahren im Einsatz ist. Festzustellen sind etwa die ungehinderte Ausbreitung von NGT-Pflanzen in der Natur, ein Rückgang der Artenvielfalt, ein erhöhter Pestizideinsatz und die Abhängigkeit von Bäuer*innen durch Patente auf genveränderte Sorten.

Fragen wirft das Ergebnis der Parlamentsabstimmung für den ökologischen Landbau auf. Denn trotz des geforderten Verbots von NGT-Pflanzen und Saatgut ist völlig unklar, wie eine Koexistenz mit Landwirten, die Gentechnik einsetzen, aussehen könnte und wer für Schäden beweispflichtig wäre. Ohne eine praxistaugliche Regelung drohen den Betrieben des Öko-Landbaus existenzielle Einbußen.

Regionale Entwicklungen in In- und Ausland

Eine große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland bzw. Bayern lehnt den Einsatz der Agrogentechnik ab und will keine gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel. Eine Reihe bayerischer Landkreise, Städte und Gemeinden hatten deshalb bereits bis zum Jahr 2013 Beschlüsse gefasst, auf ihren Flächen und in ihren Einrichtungen keine Gentechnik zu verwenden. Verschiedene Landkreise wie Miesbach oder Starnberg hatten dann 2022 und 2023 ihre früheren Beschlüsse auf ein Verbot neuer Gentechnikverfahren erweitert.[4])

Wie der brasilianische Agrarwissenschaftler Prof. Antonio Andrioli [5]) kürzlich berichtete, kehren in Brasilien viele Kleinbauern wieder zu ihrem klimatisch und regional optimierten Saatgut zurück, um Pestizide und Lizenzgebühren für genverändertes Saatgut zu sparen.

Fazit

Auch in der Landwirtschaft sollte man sich modernen Technologien nicht grundsätzlich verschließen. Gerade im sensiblen Bereich der grünen Gentechnik müssen einzelne Schritte wegen der nicht reversiblen Wechselwirkung von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Natur sehr gut abgesichert sein. Die Entscheidungsgrundlagen, über die das Parlament abgestimmt hat, genügen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht. Die Einhaltung des in den EU-Verträgen verankerten Vorsorgeprinzips und die volle Transparenz für Landwirt*innen und Verbraucher*innen müssen gewährleistet bleiben. Bisherige Studien und Aussagen von Fachbehörden lassen an der Einhaltung des Vorsorgeprinzips zweifeln.

Ein Verbot von Patenten auf NGT-Pflanzen wäre grundsätzlich sinnvoll, kann aber durch das Europaparlament allein nicht erreicht werden.

Aus den genannten Gründen spricht sich das mut-Forum Landwirtschaft und Ernährung gegen eine Deregulierung neuer Gentechnikverfahren aus und ruft Bürger*innen dazu auf, diese Haltung auch gegenüber Mandatsträger*innen in Bundestag und den europäischen Institutionen deutlich zu machen.

Quellenangaben:
1) Kommissionsvorschlag vom 5.2.2023 = https://food.ec.europa.eu/plants/genetically-modified-organisms/new-techniques-biotechnology_en?prefLang=de
2) ) EFSA-Veröffentlichung vom 20.10.2022 = https://doi.org/10.2903/j.efsa.2022.7618
3) Dr. Christoph Then, Testbiotech e.V. = https://www.testbiotech.org/ ,et al
4) Vgl. Miesbacher Merkur vom 7./8.23 = https://www.zivilcourage-miesbach.de/agrogentechnik.html
5) Siehe Zivilcourage Starnberg vom 19.2.2024 = https://zivilcourage-starnberg.bayern/europa-fuehrt-ngt-ein-brasilien-wendet-sich-davon-ab/

 

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